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Eine Stunde lang durch den Tunnel fliegen

Wie der Journalist auf die Suche nach Leuten ging, die im Morgengrauen auf den See gehen, um sich die Lunge aus dem Leib zu rudern. Und wie er eine Frau traf, die dies nicht nur selber tut, sondern auch andere dazu bringt, es zu tun.

Morgens sieben Uhr am See: Das Wasser ist glatt wie ein Spiegel, die Sonne steht noch tief und zeichnet die Welt in scharfen Konturen. Draussen gleitet ein Boot mit einem einzelnen Menschen drin lautlos vorbei, der das Wasser zerschneidende Rumpf und die im Takt eintauchenden Ruder zaubern regelmässige und faszinierende Muster auf den Spiegel.
Morgens um sieben ist die Welt offensichtlich noch in Ordnung, und der Betrachter an Land beneidet den Menschen draussen auf dem See ein wenig. Allerdings: Rudern - morgens um sieben? Und dafür bestimmt um sechs schon aufstehen?
Dann erinnert sich der Betrachter, dass er von mehreren Leuten - genauer gesagt: Frauen - gehört hat, dass sie regelmässig am frühen Morgen rudern. Und er beschliesst, der Sache nachzugehen.
Wenn du dich in Zürich mit diesem Thema befasst, begegnest du unweigerlich Heike Dynio, sagt ihm seine Gewährsfrau, eine von denen, die mehrmals wöchentlich in die Riemen greift. Er beschliesst, nicht auf diese Begegnung zu warten, sondern diese Dame aktiv zu suchen und findet sie übers Internet als Cheftrainerin des GC-Ruderclubs.
Und dort, genauer gesagt auf dem Balkon des Clubhauses am Mythenquai, trifft er sie dann auch leibhaftig zu einem Gespräch - gnädigerweise, freut sich der Journalist, erst um acht Uhr morgens. Aber logisch, denn um sieben ist sie schon für eine Stunde auf den See gegangen. Jetzt aber sitzt sie da und strahlt - morgens um acht! - bereits eine Ausgeschlafenheit und Aktivitätslust aus, die einem, der vor einer Stunde einigen Anlauf gebraucht hat, um sich aus dem Bett zu wälzen, ziemlichen Respekt abnötigt.

Frau Dynio, Sie sind ja nicht eine «Genussruderin» sondern Trainerin, sie betreiben das somit profimässig, ich frage Sie trotzdem: Was fasziniert Sie am Rudern?
Sie widerspricht: Ich betreibe es sehr wohl aus Freude. Und für die Psychohygiene, denn mit dem Rudern kann man den Psychologen sparen! Beim Rudern kann ich abschalten. Es ist faszinierend, ein Verschmelzen des ganzen Systems Mensch - Boot - Wasser - Wind -Umwelt. Es ist, als ob man sich den alten Menschheitstraum des Fliegens erfüllen könnte - zumindest wenn man's kann.
Wenn man's kann! Was müsste ich beispielsweise tun, um so fliegen zu lernen?
Es ist nicht leicht, so weit zu kommen. Besonders, wenn man erst im fortgeschrittenen Alter damit anfängt. Man kann es relativ einfach formulieren: Sie müssen 4000 bis 5000 Kilometer hinter sich bringen, bis Sie so weit sind.

Heike Dynio kanns zweifellos. Sie sagt, sie habe bisher im Ruderboot etwa zweimal die Erde umrundet - so dass der Journalist ungläubig nachfragt, aber sie hat sich nicht verrechnet, ergänzt, ja, es werden schon 80 000 Kilometer sein. Gut: Angefangen hat sie mit 13, in der DDR. Sie wollte weg aus dem Dorf, und dafür bot damals und dort der Sport die beste Chance. Sie blieb hängen, bildete sich an der Uni zur Sportlehrerin aus und betreute später als Trainierin Nachwuchsleute, von denen es vier Juniorinnen bis zu WM-Goldmedaillen schafften.
Auch jetzt wieder, bei der Rudersektion des Grasshoppers-Clubs, ist sie für den Nachwuchs zuständig. Und wieder ist sie voll engagiert in dieser Aufgabe. Zeigt auf ein Mädchen, das draussen auf dem Bootssteg steht: Sehen Sie sie an. Sie hat früher nichts gemacht, keinen Sport. Und jetzt steht sie freiwillig in den Ferien früh auf.
Es geht beim Rudern nicht nur um den Sport, fährt sie fort, sondern für viele Junge vor allem um ein vernünftiges Hobby. Wenn man denen eine vernünftige Betreuung anbietet, kommen sie von selber. Andere Vereine haben Mühe, Nachwuchs zu finden. Wir haben soviel Zulauf, dass wir Mühe haben, genügend Betreuungspersonal zu finden.

Und unversehens sind wir von der sportlichen Schiene abgekommen und woanders gelandet: 
Es geht nicht nur um den Sport, sondern auch um das Gemeinschaftsgefühl. Rudern können Junge und Ältere zusammen, Frauen und Männer gemischt. Wir haben im Club beispielsweise zwei Männer, die beide um die 90 sind, und die gehen mit 30jährigen raus. Das gibt es sonst in keiner Sportart.
Der Journalist fragt nach: Aber es gibt auch viele, die gehen allein los. Was ist dafür die Motivation? Es soll, habe ich gehört, viele Frauen geben, die etwa so vergiftet rudern wie Männer joggen oder Rennvelo fahren.
Ich führe neben meiner GC-Stelle eine eigene Ruderschule; die meisten meiner Kundinnen und Kunden sind etwa 30 bis 45 Jahre alt. Aber dort habe ich tatsächlich eine beachtliche Gruppe von Frauen, die noch etwas älter sind, beruflich und persönlich im Umbruch. Das Rudern bietet ihnen eine Möglichkeit, zu sich selber zu finden. Auch unter diesen gibt es übrigens viele, die früher nie früh aufgestanden sind - jetzt tun sie es. Treiben Sport «wie gepickt», gehen 4, 5 Mal pro Woche auf den See, in Gruppen oder auch allein.
Warum es einen hineinziehen kann, versteht der Journalist zumindest ansatzweise, wenn Heike Dynio sagt: «Wenns wirklich läuft, dann fährst du in einen Tunnel hinein.» Was er zwar nicht gerade für eine Umschreibung davon hält, dass man sich auf diese Weise den Psychologen erspare, aber er glaubt zu wissen, was sie damit sagen will.
Doch dies, das Psychologische, so erfährt er, ist nur die eine Facette dessen, was das Rudern so faszinierend macht: Wenn man im Vierer oder im Achter unterwegs ist, müssen alle das Gleiche machen, sonst hauen sie sich die Ruder um die Ohren, sagt die Trainierin.
Hier ist es wieder, das Gemeinschaftsgefühl.
Erneut zeigt sie hinaus auf den See: Sehen Sie, die dort im Achter waren gestern zum ersten Mal auf dem See, die rudern «Kraut und Rüben» zusammen. Und sogar der Journalist, für den Ruderboote schwerfällige Dinger aus Blech oder dicken Holzbrettern sind und für die man stundenweise Miete zahlt um einer hoffentlich attraktiven Dame, die nie im Leben auf die Idee käme, selber ein Ruder in die Hand zu nehmen, einen hoffentlich romantischen Moment zu spendieren, sieht, dass die im Achter es wirklich nicht können. Die müssen am Gemeinschaftsgefühl noch arbeiten.
Die Fachfrau fährt fort, erzählt so engagiert, dass man spürt: Hier redet nicht nur eine von der alten Schule, sondern eine, die ganz anders aufgewachsen sind als viele von denen, die heute auf dem See im Boot sitzen: Im Freizeitsport ist heute fast überall Konsumieren gefragt: Man zahlt für etwas und will dafür möglichst viel geboten bekommen, ohne viel dafür tun zu müssen. Dies gilt leider auch fürs Rudern, hier in Zürich ist das ein richtiger Hype geworden, was mir nicht sehr gefällt.
Aber in einem guten Club ist dies anders: Rudern ist ein aufwändiger Sport. Man muss früh morgens hinaus auf den See, wegen den Wellen. Und vorher muss man sich umziehen, das Boot vorbereiten, einwassern, dann rudert man eine Stunde, dann wieder das Boot reinigen, alles wegräumen, duschen.
Und schon wieder das Gemeinschaftsgefühl: Wir machen vieles zusammen, gehen zum Beispiel für ein verlängertes Wochenende mit den Booten nach Frankreich oder nach Norddeutschland.
Sie spricht das Wort «Familie» nicht aus, aber man vernimmt es zwischen den gesprochenen Zeilen - und nimmt erstaunt zur Kenntnis, dass es, so wie es herüberkommt, keine beklemmenden Gefühle im Bauch auslöst.
Und wieder deutet sie hinaus, auf einen Vierer, der gerade vom Bootssteg ablegt: Sehen Sie, die beiden hinteren sind die Neunzigjährigen, von denen ich erzählt habe. Davor die Ursina, Mitte vierzig - sie kennt die Besatzung des Boots, selbstverständlich auch aus der Distanz, so wie sie alle kennt, die sich vor und auf dem See tummeln - das gibt es nur beim Rudern, dass man Neunzigjährige mit Dreissigjährigen zusammen, Frauen mit Männern in einem Boot sieht.
Rudern ist eine Lebensschule, fährt sie fort. Das fängt bei Kleinigkeiten an: Es ist wichtig, dass die Jugendlichen, die mit 13, 14 Jahren hierherkommen, lernen, mit dem Material richtig umzugehen. Aber es geht viel weiter, denn sie entwickeln hier auch Teamgeist, und es ist schön zu sehen, wie ein guter 18-jähriger Ruderer nicht mault, wenn ich ihn mit einem weniger guten jüngeren ins Boot setze. Sie lernen, mit Konflikten in der Gruppe umzugehen. Sie lernen, zu verlieren und dennoch weiterzumachen. Sie lernen, selbstständig zu werden.
Das von der Lebensschule hat der Journalist bereits gehört, vor allem, dass es eine harte Schule sein kann. Dass die Lehrmeisterin schon mal ziemlich laut wird. Und die Gewährsfrau erzählt von einem Jugendlichen, der öfters weinend aus dem Training nach Hause gekommen sei und nicht mehr hingehen wollte. Allerdings habe er es später dank diesem Training im Achter bis zur Europameisterschaft gebracht.

Kommen wir doch noch nach all der Psychologie auf die sportlichen Seiten zu reden, Frau Dynio. Was unterscheidet Rudern von anderen Ausdauersportarten wie Velofahren oder Laufen, worin sind sie vergleichbar?
Was anders ist als bei den meisten anderen Sportarten: Rudern ist eine Ganzkörper-Geschichte. Es kräftigt die gesamte Muskulatur - Rumpf, Arme, Beine. Beim Joggen und beim Velofahren kräftigt man fast nur die Beine. Hinzu kommt die Koordination, die ist enorm wichtig; man muss die einzelnen Bewegungen wie Perlen einer Kette aneinanderreihen, sonst geht's nicht. Und auch das Gleichgewichtsgefühl, das ist ebenfalls ungemein wichtig.
Anderseits wird der Körper bei Weitem nicht so belastet wie etwa beim Laufen - ich sage immer: Beim Rudern kann man sitzen. Was aber nicht heisst, dass nichts passieren kann, denn wenn man etwas falsch macht, kann man schon den Rücken kaputt machen.

Mittlerweile ist es kurz vor neun geworden, immer mehr Jugendliche finden sich im Clubhaus ein und scharren ungeduldig mit den Füssen: Um neun haben sie Training mit Heike Dynio. Diese verabschiedet sich, aber nicht ohne eine ältere Dame, die grad zur Hand ist, dem Journalisten weiterzureichen: Erika, setz dich rasch hin, der Herr hat noch ein paar Fragen an dich.

Also fragt der Journalist, und Erika Käufeler antwortet: Ich habe mir das Rudern gewünscht und geleistet auf die Pensionierung. Im letzten Oktober habe ich einen Anfängerkurs gemacht, im Januar einen Fortgeschrittenenkurs angehängt. Und seither organisiere ich mich selber: Drei, vier Mal pro Woche gehe ich morgens auf den See, manchmal mit Frauen aus meinem Kurs, und sonst finde ich irgend jemand anderen - so wie heute, da haben drei Frauen eine vierte gesucht, und so bin ich eingesprungen.
Die obligate Frage auch hier: Was fasziniert Sie an diesem Sport?
Darauf die obligate Antwort: Mich faszinieren die Ruhe, das Wasser, die Natur. Es ist wunderschön, wenn man sieht, wie der Tag erwacht. Und sie drückt das in Worten aus, was man eine Stunde vorher bei Heike Dynio im ganzen Ausdruck gesehen hat: Man ist nachher so gut drauf, dass es den ganzen Tag anhält. Man ist «aufgestellt» und voller Tatendrang. Ich kanns nur empfehlen.

Draussen auf dem See sind inzwischen zwei Vierer mit Steuermann - oder besser: Steuerfrau - unterwegs, die Jugendlichen der Neun-Uhr-Gruppe. Das eine Boot ist bereits ein paar hundert Meter entfernt, man rudert. Das andere, dümpelt in Ufernähe, die Steuerfrau Heike Dynio redet. Was, ist nicht zu verstehen, aber offensichtlich hören die Jungen gespannt zu. Und der Journalist weiss, dass auch die noch genügend Gelegenheit bekommen werden, sich in die Riemen zu legen.
Und einige von ihnen werden zweifellos dabei bleiben und in zehn, zwanzig Jahren an einem schönen frühen Sommermorgen lautlos über den spiegelglatten See gleiten.
 

Zürich, ein Ruder-Mekka
Nicht weniger als zehn Ruderclubs haben ihre Clubhäuser am Zürcher Mythenquai auf einer Uferlänge von vielleicht 200 Meter, wie Kurt Lenherr, beim GC-Ruderclub zuständig für Kommunikation und Sponsoring erklärt. Sie haben die unterschiedlichsten Hintergründe und Ausrichtungen:
Der Polytechniker-Ruderclub etwa war früher ein reiner Studentenclub und ist heute noch eng mit der Universität und der ETH, früher «Polytechnikum» genannt, verbunden. Aber er steht auch anderen Personen offen; der Frauenanteil beträgt gegen 50 Prozent. www.prc.ethz.ch
Der Belvoir-Ruderclub hat eine Leistungs- und eine Breitensportabteilung und rund 300 Mitglieder. www.belvoir-rc.ch
Die Rudersektion des Grasshopper-Clubs hat laut Lenherr rund 350 Mitglieder - allerdings nur Männer! Frauen werden bis heute nicht aufgenommen, deshalb ist auch Heike Dynio als Headcoch nicht Mitglied. Beim Nachwuchs dürfen auch Mädchen ins Boot, aber wenn sie mit diesem Sport weitermachen, treten sie später meist zum Ruderclub Zürich (www.rcz.ch) über, der ihnen eine adaequate Betreuung und ein gutes Umfeld bietet.
Andere Clubs mit Breitensport- und/oder Nachwuchs-Abteilung sind etwa: Ruderclub Kaufleuten (www.rck.ch), Seeclub Zürich, mit 400 Mitgliedern der grösste (www.seeclub.ch).
Neben diesen zehn Vereinen gibt es noch weitere in Zürich, darunter den Damen Ruderclub «mit offenen Türen für männliche Gäste». www.drz-rudern.ch
Neben Zürich ist auch Luzern eine Stadt mit vielen Ruderern und mehreren Clubs. Adressen auf www.luzern.ch/vereine
Weitere Adressen für die ganze Schweiz auf www.rudern.ch


erschienen in Cigar 3/2009

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