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Der Meister der Brettkunst

Am Ende der Welt, am Rande des Bergdorfs Braunwald, baut Hansjürg Kessler die besten Snowboards, die es für Geld zu kaufen gibt. Gut die Hälfte aller Alpin-Profis fahren auf seinen Brettern.

Alles Mögliche könnte am Ende dieses Strässchens liegen, aber dass hier eine Firma zu finden ist, die ein Produkt der absoluten Welt-Spitzenklasse herstellt, käme einem nicht in den Sinn. «Von der Bergstation der Braunwaldbahn immer rechts halten, dann kommt eine Abzweigung, dort ist angeschrieben ‹Holzbau AG›, so kommen Sie zu uns», hat der Gesprächspartner am Telefon gesagt. Und hier «bei uns», das stellt sich heraus als eine Schreinerei der ziemlich gewöhnlichen Art, wie sie in der Schweiz vielerorts zu finden ist.

Das Schild «Büro» weist zwar den Weg, aber man muss doch zwei Mal hinschauen, bis man den Eingang findet, denn nach Büro sieht hier vorerst gar nichts aus, und so steht man denn in einer Halle, in der zwei Personen an irgendwelchen Maschinen arbeiten, ein Mann dreht sich um, und wenn man sagt, man suche Herrn Kessler, gibt er sich zu erkennen.

Vom Aussehen her könnte er ein Action-Held aus Film oder Fernsehen sein, oder zumindest ein Skilehrer, was ja fast das Gleiche ist, und was er früher auch war. Heute aber und in Wirklichkeit ist er Hansjürg Kessler, der Mann, der die besten Snowboards der Welt baut. Die andere Person ist eine Frau, und wenn man erkennt, womit sie gerade beschäftigt ist, gibt es keinen Zweifel mehr, worum es hier geht: Mit einer CNC-gesteuerten Maschine schneidet sie aus einer millimeterdicken schwarzen Folie den Gleitbelag in der typischen Form eines Snowboards aus. Und ist die Form fertig, fährt der Kopf der Maschine noch einmal zurück zum Vorderteil der Brettform und frisst in Windeseile ein paar seltsam aussehende Löcher in den Belag; hier werden später aus dem gleichen Material in Weiss die markant gezeichneten Buchstaben K-E-S-S-L-E-R eingesetzt, die die Unterseite jedes Brettes zieren, welches diese Fabrik hier verlässt. Von Hand eingesetzt, selbstverständlich, denn jedes dieser Bretter ist handmade und ein Einzelstück.

Hansjürg Kessler führt den Besucher durch die Halle, und auch hier muss man die eigentliche Snowboard-Produktion suchen, denn der Betrieb ist nur zur Miete in einer Schreinerei / Zimmerei, die früher hälftig Kesslers Vater gehörte. Doch die meisten der herumstehenden Hölzer sind eindeutig nicht für den Wintersport bestimmt, ein paar Bretter mit ausgefrästen ornamentalen Öffnungen zum Beispiel sind eindeutig als Latten für ein Balkongeländer eines Chalets zu identifizieren, aber: «Ja, auch die fräsen wir auf der gleichen Maschine wie die Bretter», sagt Kessler.

Die Objekte, um die es eigentlich geht, sind aber dann doch zu entdecken: Ein Mitarbeiter steht vor einem Arbeitstisch, auf dem der Gleitbelag eines Boards mit bereits eingelegten Kanten in einem Rahmen liegt, die Unterlage des Sandwichs also, das ein Snowboard im Prinzip ist: Unten der Belag mit den eingelegten Kanten, oben das Deckblatt aus Kunststoff, in der Mitte ein tragender Kern aus Holz und zwischen Kern und Deckel und Boden ein paar Lagen aus Gummi, Kohlefaser oder Titanal – im Prinzip gar kein besonders kompliziertes Sandwich eigentlich.

Ist ein Snowboard im Grunde ein einfaches Ding, Hansjürg Kessler?

«Das Material zumindest ist gar nicht dermassen entscheidend», sagt er, «viel wichtiger ist die Geometrie, also der Radius, die Taillierung und die Biegung von Ende und Schaufel. Dann die Steifheit und die Vorspannung. Und natürlich das richtige Zusammenspiel dieser Elemente. Wenn das stimmt, kann ich mit relativ einfachen Materialien ein gutes Brett bauen. Je teureres und besseres Material ich verwende, desto schwieriger wird es.»

Einfaches Material – auf den ersten Blick stimmt das sicher für das Holz. Der Kern ist ein Brett aus verleimten Stäben von Buche und Pappel, das schon die Form des fertigen Bretts erahnen lässt. In der Mitte ist er bis zu zehn Millimeter dick, an den dünnsten Stellen vorne und hinten vielleicht noch einen halben Millimeter. Und trotzdem «hält» er das ganze Brett, erträgt härteste Schläge aus den verschiedensten Winkeln, kann sich furchterregend verbiegen und wieder in die alte Form zurückschnellen, behält seine Elastizität während Jahren. «Holz ist ein guter Werkstoff. Gut zu bearbeiten und preisgünstig», sagt Hansjürg Kessler. Einen Teil der Kerne stellt er selber her, die anderen bezieht er von der Firma Hess & Co. AG im aargauischen Kleindöttingen, dem internationalen Marktleader für Ski- und Snowboard- Kerne. «Im Gegensatz zu Kunststoff behält Holz seine technischen Eigenschaften auch bei grossen Temperaturschwankungen weitgehend», heisst es auf deren Website über den guten Werkstoff. «Alles was im Ski- oder Snowboard- Weltcup gut ist, hat einen Holzkern», drückt es Kessler plakativer aus.

Die anderen Werkstoffe sind auch nicht gerade revolutionär: Gummi ist uralt, Polyäthylen, aus dem der Gleitbelag hergestellt wird, wurde vor über hundert Jahren entdeckt und wird etwa für Wasserleitungen und Verpackungsfolien benutzt, Kohlefaser ist zwar nicht gerade ein Allerweltsprodukt, aber seitdem Carbon- Velos auch für Hobbyrennfahrer erschwinglich sind und Angelruten, Pfeil- und Geigenbögen daraus hergestellt werden, auch nicht mehr besonders elitär, Ähnliches gilt für die Aluminiumlegierung Titanal, die ebenfalls in vielen Sportgeräten verbaut wird.

Aber eben: Das Entscheidende ist das Wissen, wie man diese Werkstoffe kombiniert, und vor allem welche Form man dem Sandwich gibt. Und dafür – das ist das Geheimnis von Hansjürg Kessler – hat er offenbar ein Goldhändchen oder vielleicht auch ein Goldköpfchen. Und er hat auch einen Begriff: «Die KST, ‹Kessler Shape Technology› habe ich patentieren lassen.»

Damit meint er die Geometrie, eben das A und O des Brettbaus, so ist zum Beispiel der Bogen vorne, wo die Zone vor der Bindung in die Schaufel übergeht, nicht einfach ein Kreisbogen, sondern ein höchst komplexer Verlauf mit verschiedensten Radien. Patente Idee! Dieser «Shape» und das Zusammenspiel der verschiedenen Elemente machen KST aus.

Aber doch noch die Frage: Warum sind Sie besser als die anderen, Herr Kessler? «Ich bin in Braunwald aufgewachsen. Seit dem dritten Lebensjahr bewege ich mich auf Schnee. War Skilehrer, Skilehrer- Experte. 1985 hat das mit dem Snowboarden angefangen, und ich habe sofort gespürt, dass das nicht einfach ein kurzer Boom sein würde. Ich war einer der Ersten, der sich intensiv damit befasst hat, begann selber zu fahren und war auch Snowboard-Lehrer.»

Bereits 1987, 88 hat er auch selber Bretter gebaut. Einfach so. «Den Aufbau von Ski kannte ich aus den Kursen als Skilehrer. Dort hat man viel über Biomechanik gelernt und sich intensiv mit dem Phänomen des Gleitens auseinandergesetzt. Zudem hat mir jedes Jahr, das ich mich auf dem Schnee bewegt habe, geholfen, das komplexe Ereignis des Gleitens auf dem Schnee besser zu verstehen. » Auch andere nützliche Erfahrungen zählt er auf, etwa die als Bauführer, denn «die Statik der Boards ist ja im Grunde nichts anderes als die Statik der Balken auf dem Bau. Ich verwende übrigens auch dieselben Berechnungsformeln wie damals.»

Sein Erfindergeist, seine Erfahrung und die Möglichkeit, alles gleich selber auszuprobieren, waren die Erfolgsfaktoren. Und die Tatsache, dass er immer einfache Möglichkeiten suchte: «Ich habe immer alles auf eine Art und Weise gemacht, zu der ich selber den Zugang hatte. Und ich erlebe auch alles selber.» Er hat sogar absichtlich darauf verzichtet, gewisse Dinge von anderen zu übernehmen – offensichtlich zu Recht: «Ich bin froh, habe ich damals nie eine Skifabrik besucht. Wahrscheinlich hätte ich gar nicht angefangen, wenn ich gesehen hätte, wie gross der Aufwand ist.»

Das ist bis heute so geblieben. Wenn er eine Idee hat – und das ist oft der Fall, «manchmal ist es plötzlich einfach da» – braucht er nicht erst in der Produktion nachzufragen, ob sie realisierbar ist, er probiert es gleich selber aus. Und macht auch jetzt, wo er drei Leute beschäftigt, immer noch immer wieder alles selber, baut immer wieder selber Bretter, «damit ich das Gespür nicht verliere».

Sogar die Maschine, welche die Bretter in Form fräst, hat er selber entwickelt und gebaut, die Software für die Steuerung selber entwickelt. Und die Holzformen sehen gar nicht nach High-Tech aus, sind auf den ersten Blick als selbst gebaut zu erkennen: einfache Rahmen aus Holz, fast gebastelt, mit verschiedenen Einlagen für längere und kürzere Bretter. Wie würden solche Formen in einer grossen Snowboard-Fabrik aussehen? Kessler überlegt einen Moment: «Sie wären wohl aus Kunststoff oder Metall.» Aber die Form, so ist aus seiner Antwort herauszulesen, wäre die gleiche. Ob es wirklich so ist oder nicht – unwichtig, denn für ihn und seine Produktion sind sie offensichtlich genau richtig.

Etwas, was sich verändert hat, ist die Zahl seiner Mitarbeiter. Jahrelang hatte er nur einen, mittlerweile sind es drei, ein Maler, ein Schreiner und – eine Sekundarlehrerin, «sie begreift sehr rasch», sagt er. Auf die winterliche Hochsaison kommt noch ein vierter dazu. Der Grund liegt auf der Hand: Die Produktionszahlen steigen – eigentlich muss man sagen: explodieren. Bis vor einigen Jahren waren es vielleicht 100 Stück pro Jahr. Dann kam der 15. Februar 2002, an dem Philipp Schoch nach seinem Olympiasieg in Salt Lake City sein silbernes Brett mit dem charakteristischen Kessler- Schriftzug vor die Kameras der Welt hielt und ziemlich viele Leute in der ganzen Welt sich fragten: Kessler – who?

Einige von ihnen riefen daraufhin in Braunwald an und bestellten Bretter. Von da an gings bergauf, bald warens 400, 500 Stück, kommende Saison sollen es 800 sein. Und mittlerweile sind es längst nicht nur die Schoch-Brüder: Rund 50 Prozent der Profis im Alpin- Bereich, erzählt er, fahren auf seinen Brettern, darunter neben vielen aus der Schweiz solche aus den Nachbarländern, aber auch aus den USA und Russland. Nach einigem Suchen findet er im Computer die Liste: 101 Fahrer sind es, aus 19 Ländern.

Auf seiner Website sind viele davon aufgeführt – gleich auf der ersten Seite, noch bevor man überhaupt etwas über sein Produkt oder über den Konstrukteur selber erfährt: Wer www.kesslersnowboards. ch aufruft, sieht zuerst eine Liste der Platzierungen bei wichtigen Rennen, die auf seinen Brettern herausgefahren wurden. Zuoberst die Frauen- Riesenslalom-Rangliste der Olympiade 2006 in Turin: 1. Meuli Daniela (SUI), 2. Kober Amelie (GER), 3. Fletcher Rosey (USA), 4. Günther Doris (AUT), 5. Tudigescheva Ekaterina (RUS), 8. Boldikova Svetlana (RUS), 10. Krings Heidi (AUT). Natürlich gab es auch Damen, welche die Ränge 6, 7 und 9 erreichten. Nur hatten sie das Pech, andere Brettmarken zu fahren.

Bei den Männern im gleichen Wettbewerb ein ähnliches Bild: 1. Schoch Philipp (SUI), 2. Schoch Simon SUI), 5. Inniger Heinz (SUI). Und so weiter. Demnächst dürften es noch mehr werden: «Ich habe grosse Ambitionen, meine Bretter auch im Boardercross zu etablieren, KST ist eigentlich wie geschaffen für diese Disziplin», erzählt er. Zwei sehr junge Fahrer haben an den Weltcuprennen in Chile vom vergangenen September bereits zwei vierte und einen fünften Platz herausgefahren. «Ich bin überzeugt, bis zu den Olympischen Spielen 2010 in Vancouver auch in dieser Disziplin ganz vorne dabei zu sein.» Nach wie vor gibt es die Boards nur an einem Ort zu kaufen: in der Fabrik hier am Ende der Welt in Braunwald. Deshalb «sind es nur wenige von diesen Fahrern, die noch nie da waren», sagt er.

Daneben gibt es einige hundert angefressene Hobby-Fahrer, denen es wert ist, rund 1500 Franken für ein erstklassiges Brett auszugeben. Und eben: ein Einzelstück. Wer ein Kessler-Brett haben will und den Weg hierher findet, bekommt zuerst eines der zahlreichen Testbretter, die in den verschiedensten Längen, Breiten und Härten am Lager liegen, in die Hand gedrückt beziehungsweise an den Fuss geschnallt. Und fährt dann gleich damit über die Pisten von Braunwald hinunter. Kommt zurück und erzählt, wie es war. Dann weiss der Brettmeister gleich, was zu verbessern ist, einerseits auf Grund seiner profunden Erfahrung, anderseits dank seiner Datenbank im Computer, in der er für jedes einzelne Board, das er je hergestellt hat, alle wichtigen Daten abrufen kann.

Und dann kann man sein eigenes Kessler bestellen, kann die Länge, die Taillierung und die anderen wichtigen Daten wünschen, wenn man möchte den eigenen Namen aufdrucken lassen (kostet 50 Franken extra), ein Logo (ab 80 Franken) oder gar das ganze Brett nach eigenem Geschmack (wird nach Aufwand verrechnet) gestalten lassen.

Übrigens: Hansjürg Kessler baut auch Ski, schon seit Jahren, aber erst seit Kurzem ernsthaft. Sie seien extrem gut angekommen, erzählt er, die rund 50 Paar, die er letzte Saison hergestellt und verkauft hat. In der kommenden Saison werden es deshalb auch davon viel mehr sein, rund 300 Paar. Der grosse Vorteil: Ski können einfach mal im Voraus produziert werden, die werden so gekauft, wie sie sind, da diskutiert niemand über die Breite und den Radius. Kosten mit Bindung 1600 Franken. Custom Made 2500 Franken. Einen Moment lang spürt man, dass ihn auch das reizen würde: Man könnte auch das Skifahren verändern mit der KST, sinniert er. Aber er weiss auch, dass er nicht mehr viel Zusätzliches unterbringen kann. Weder in seinen Produktionsräumen noch bei sich selber: «Ich könnte die Produktion hier auf maximal 1000 Bretter steigern. Dann müsste ich mir überlegen, woanders hinzugehen, wahrscheinlich hinunter ins Tal. Aber mehr will ich nicht, bei 1000 ist fertig.» Das klingt ziemlich entschlossen.

Dafür gibt es mehr als einen Grund. Einer ist, dass er jetzt schon sehr viel am Hals hat, dass sehr viel an ihm hängt. «Ich komme mir gelegentlich vor wie der Artist im Zirkus mit den vielen Tellern, die er gleichzeitig am Rotieren halten muss – permanent zu wenig Kapazität.» Doch da gibt es seine Familie, die Ehefrau und vier Kinder von acht, sechs (zwei Mal) und drei Jahren, die ihn in letzter Zeit doch immer wieder zu Hause halten oder natürlich auf die Piste bringen, wo mit Ausnahme der Dreijährigen – die nach Meinung des Papas noch gut ein Jahr zu jung ist, aber schon dauernd fragt, wann sie denn auch dürfe – alle selbstverständlich auf einem Custom- Made-Kessler-Brett hinunterfetzen.

Und dann ist da noch etwas, das er, der hier geboren und aufgewachsen und immer wieder hierher zurückgekommen ist, eigentlich gar nicht aussprechen müsste, das hat man im Gespräch schon längst zwischen den Zeilen herausgehört: «Wenn ich mich wohlfühle, an einem Ort zum Beispiel, arbeite ich auch gut. Der Ort und die Umgebung haben einen grossen Einfluss auf das Produkt. Wenn ich mit meiner Firma im Unterland wäre, wäre das Produkt anders. Wie, weiss ich nicht. Aber anders.»

So gut, wie seine Bretter jetzt sind, gibt es eigentlich nur eine Variante: Sie wären schlechter. ●


erschienen in Cigar 4/2007

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