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Hier schlägt das Herz der Schweizer Uhrenindustrie

Geografisch liegt es ganz am Rand der Schweiz. Wirtschaftlich allerdings liegt es im Zentrum: das Vallée de Joux, das Tal, wo die Mehrzahl aller komplizierten und teuren Uhren der Welt hergestellt werden. Ein grosser Teil davon bei Jaeger-LeCoultre in Le Sentier.

Da, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen, da wo es tagsüber nach unverfälschter ländlicher Idylle und nachts nach absolut toter Hose aussieht, haben Unternehmen ihren Sitz wie Audemars Piguet, einer der wenigen noch unabhängigen und im Familienbesitz befindlichen Hersteller, Blancpain und Breguet, zur Swatch Group gehörend wie auch die beiden Werkhersteller Frederic Piguet und Valjoux, dessen Namen nur Kennern geläufig ist, dessen Vorzeigestück 7750 aber als meistverbreitetes mechanisches Chronographenwerk der Welt an vielen Männerhandgelenken den Takt angibt, oder Dubois Dépraz, ein unabhängiger Werkhersteller. Und auch die renommierten Genfer Marken Vacheron Constantin und Patek Philippe haben hier im Tal Niederlassungen. Dazu noch einige andere, weniger bekannte.

Vor allem aber Jaeger-LeCoultre, die grösste Uhrenfabrik und der grösste Arbeitgeber im Tal mit rund 1200 Beschäftigten in über 40 Berufen. Das heisst, dieses Unternehmen in Le Sentier stellt fast jeden fünften Arbeitsplatz im Vallée. Und demnächst sollen es noch mehr werden, ein Ausbau der Produktion soll bis 2009/2010 weitere 400 Arbeitsplätze schaffen.

Denn der Uhrenbranche geht’s sehr gut, 2007 wurden für 16 Milliarden Franken Uhren exportiert, 16 Prozent mehr als im Jahr zuvor, das ist die höchste Steigerung seit 1989. Die Renner aber waren wie schon seit Jahren die besonders teuren Stücke: Von den Modellen über 3000 Franken wurden mehr als 25 Prozent mehr exportiert, und das ist die Domäne unter anderem von Jaeger-LeCoultre, kurz JLC.

Das Unternehmen produziert laut Marketingdirektor Stephane Belmont rund 50 000 Stück pro Jahr und liegt damit etwa in der Grössenordnung von Patek Philippe. Belmont: «Diese Zahl ist seit Jahren etwa konstant, allerdings haben wir den Durchschnittswert kontinuierlich gesteigert»; genauer will er allerdings nicht werden. Die im Katalog genannten Verkaufspreise gehen von 4400 Franken für eine einfache Dreizeiger-Reverso Classique bis 464 000 Franken für eine Reverso Grande Complication in Platin. Exklusivmodelle können allerdings locker bis zu mehreren Millionen kosten. Auf jeden Fall kann man davon ausgehen, dass JLC dem allgemeinen Branchentrend entsprechend in den vergangenen Jahren stetig und deutlich an Umsatz zugelegt hat, und dass auch der jeweilige Gewinn ansprechend ausgefallen ist.

Zwei Attribute unterscheiden JLC von den meisten anderen Schweizer Uhrmachern: Zum einen blickt das Haus auf eine der längsten Traditionen zurück, 2008 kann man das 175-Jahr-Jubiläum feiern. Und zum anderen ist es eine der ganz wenigen so genannten Manufakturen, also Uhrenfirmen, welche praktisch alles selber herstellen. Ausnahmen sind Gläser, Federn und Armbänder. Sogar Federn könnte man selber herstellen, falls dies nötig würde.

Damit ist JLC ein stolzer Vertreter der Tradition im Vallée de Joux, die auf das 16. Jahrhundert zurückgeht, als die Bau- ern im Tal eine Beschäftigung für die langen Wintermonate suchten. Es gab einige Eisenminen in der Gegend, und dort hatten sich die Fähigkeiten für die Metallbearbeitung entwickelt. Die Einwohner des Tals spezialisierten sich auf die Bearbeitung von kleinsten Mechaniken, von so anspruchsvollen, komplizierten Uhrwerken. Auf diese Weise konnten sie mit einem Minimum an Materialaufwand und einem Maximum an Einsatz von eigener Arbeitskraft und Kreativität ein Maximum an Mehrwert schaffen.

Die Prinzipien des Uhrenbaus – und der Funktionsweise der mechanischen Uhren – sind bis heute im Wesentlichen dieselben geblieben, und Handarbeit prägt noch immer das Bild bei Jaeger- LeCoultre: Zwar finden sich auch Hallen voll mit grün lackierten Maschinen, wie sie in jeder mechanischen Werkstätte oder Fabrik stehen könnten, welche, einmal programmiert, fleissig vor sich hin produzieren. Der Unterschied zu einer «normalen» Werkstätte liegt vor allem in der Grösse der hergestellten Teile: Eine Maschine spuckt laufend etwas aus, was auf den ersten Blick wie Metallspäne, also Abfall aussieht. In Wirklichkeit sind es kleinste Achsen, ein oder zwei Millimeter lang und ein Bruchteil davon im Durchmesser.

In einer anderen Halle werden aus langen Messingbändern gelochte Scheibchen von vielleicht knapp einem Zentimeter Durchmesser ausgestanzt, die dann von Arbeiterinnen in Fräsmaschinen eingespannt und hier zu Zahnrädern gefräst werden. Etwas überrascht ein wenig in diesen Hallen: Viele der Maschinen sind wohl gut doppelt so alt, wie die Person, die sie bedient.

Besonders eindrücklich ist das Einsetzen der Lagersteine in die Platinen: Das sind künstliche Rubine mit einem Loch, die später die Spitzen der Achsen aufnehmen werden, weniger als ein Millimeter im Durchmesser, von blossem Auge kaum zu erkennen. Die Arbeiterin – ein grosser Teil der Beschäftigten sind Frauen – platziert zuerst eine Platine in einer Schablone, ergreift dann eines der Steinchen mit einer Pinzette – Achtung: richtige Seite nach oben – und legt sie an die vorgesehene Stelle. Dann ein Druck mit dem Fusspedal, und ein Kolben presst den Rubin mit Luftdruck präzis in die Fassung in der Platine.

Auch das Einsetzen der Rubine in den Anker ist äusserst filigrane Arbeit: Der Stein muss – wiederum in der richtigen Richtung selbstverständlich – mit einer Pinzette in die vorgesehene Ausfräsung geschoben werden, ohne dass sich diese verbiegen.

Für den Zusammenbau eines normalen Uhrwerks braucht es etwa drei Stunden, wobei gut die Hälfte der Zeit für Kontrolle und Regulierung benötigt wird. Der Zusammenbau und die Kontrolle eines aufwändigen Uhrwerks dauert sogar bis zu 50 Stunden.

Wichtig bei JLC ist die sehr aufwändige Dekoration vieler Werkteile – auch und vor allem solcher, die im zusammengebauten Uhrwerk niemand mehr zu Gesicht bekommt. Diese Dekorationen werden nur von Frauen gemacht, von Hand: Mit winzigen Schleifscheiben geben sie einer Platine, einer Brücke oder einem Kloben wellen-, kreis- oder andersförmige Verzierungen. Später, wie gesagt, verschwinden diese liebevoll gemachten Verzierungen unter anderen Werkteilen und vor allem unter einem Zifferblatt oder einem Deckel.

Eine andere Dekorationsarbeit hingegen, die sichtbar ist und auch sichtbar sein soll, ist die Emaillierung: Von Hand werden auf Vorder- oder Rückseite Bilder mit Emailfarben aufgemalt, das können Kopien von Gemälden sein oder auch Vorlagen, die von den Kunden geliefert werden wie das Foto eines Familienmitgliedes oder vielleicht auch mal des Familienhundes. Die Herstellung eines solchen Bildes dauert, wenn es eine komplizierte Vorlage ist, schnell einmal eine Woche oder gar zehn Tage.

Insgesamt hat JLC eine sehr hohe technische Kompetenz. Etwa mit dem Kaliber 101, dem kleinsten mechanischen Uhrwerk der Welt, mit einer Länge von 14, einer Breite von 4,8 und einer Dicke von 3,4 Millimeter. Auf diesem Raum beinhaltet es gegen 100 Teile.

Oder mit der Atmos, einer Tischuhr, die von den Temperatur- und Druckschwankungen der Umgebungsluft angetrieben wird, also gänzlich ohne Aufziehen und Batterie auskommt. Die Atmos ist übrigens das offizielle Geschenk der Schweizerischen Eidgenossenschaft für hohe Staatsgäste.

Das bekannteste Modell von JLC ist allerdings die Reverso: rechteckig oder seit neuestem auch quadratisch, lässt sie sich im Gehäuse umklappen, so dass entweder die Vorderseite mit dem Zifferblatt oder die Rückseite oben liegen. Entwickelt wurde sie Anfang der Dreissigerjahre des letzten Jahrhunderts auf Wunsch von britischen Offizieren in Indien, die für das Polospiel eine Uhr wollten, die den Strapazen und Schlägen widerstand.

War deshalb auf der Rückseite früher ein Schutzdeckel, so gibt es heute Modelle mit Glasboden für den freien Blick aufs Werk und doppelseitige Versionen mit rückseitigen Anzeigen wie zweiter Zeitzone, ewiger Kalender oder Mondphase und sogar ein Modell mit einer dritten Anzeige im Gehäuseboden.

Ebenfalls bekannt ist die Memovox, eine Armbanduhr mit mechanischem Läutwerk. Neuere Beispiele für den hohen technischen Stand sind die Taucheruhr Master Compressor Diving Pro Geographic mit mechanischem Tiefenmesser und – sicherlich ein absolutes Meisterwerk – die Gyrotourbillon I mit einem Tourbillon in zwei Dimensionen, einem ewigen Kalender und der Anzeige der Zeitgleichung. Ihr Werk hat nicht weniger als 679 Einzelteile. Oder die letztes Jahr vorgestellte Master Compressor Extreme LAB, die dank neuen Werkstoffen ohne Schmierung auskommt.

Gelegentlich erlaubt man sich auch technische Spielereien, etwa mit einer Reverso, bei der mit einem kleinen Rädchen das aus Lamellen bestehende Zifferblatt unter dem Gehäuserand verschoben werden kann und darunter ein Emailbild zum Vorschein kommt.

Im Gegensatz zu anderen Marken, welche eher Marketing-orientiert sind, definiert sich JLC stark über die Technik, wobei, wie Stephane Belmont sagt, «die Technik immer auch dem Design und der Funktion dient. Auch das Design ist für uns sehr wichtig».

Wichtig für den Erfolg ist die Tatsache, dass JLC auch nach der Übernahme durch den Richemont-Konzern, zu dem unter anderem Marken wie Cartier, Van Cleef & Arpels und Dunhill gehören, seine Ausrichtung behalten konnte. Es gibt, so Belmont, weder im technischen Bereich eine eigentliche Zusammenarbeit mit den ebenfalls zum Konzern gehörenden IWC und Lange & Söhne, die beide ebenfalls über hohe technische Kompetenz verfügen, und schon gar nicht wurde JLC für andere Richemont- Marken wie Piaget, Panerai und Vacheron Constantin zum Werkelieferanten bestimmt. «Wir geniessen eine hohe Autonomie», sagt der Marketingchef. «Für uns ist klar, dass wir unsere Kompetenz mit kompletten Uhren und nicht mit der Positionierung als Werkhersteller beweisen müssen und wollen.»

Welche Trends sieht der Marketingchef für die Uhren-Zukunft? «Es gibt eigentlich keine eindeutigen Trends. Es wird weiterhin die klassischen runden Uhren geben. Auch grosse Uhren bleiben in. Hingegen sehe ich keinen Trend zu einer Verschmelzung zwischen Damen- und Herrenmodellen. Es gibt zwar Frauen, welche grosse Uhren tragen, aber die wollen bewusst Herrenuhren. Daneben gibt es die Adaptionen der Herrenmodelle für Frauen.»

Dies zeigt sich im aktuellen Sortiment von JLC, wo sich diverse Frauenuhren finden, die zwar wuchtig aussehen wie Männermodelle, aber mit einer Grösse von zum Beispiel 38 Millimeter Durchmesser sichtbar kleiner sind als die eigentlichen Herrenuhren. Besonders die Reverso, welche seit je auch in den grösseren Grössen sehr oft von Frauen getragen wird, hat viel dazu beigetragen, dass die Kundschaft zu rund der Hälfte aus Frauen besteht, trotz der eher technischen Ausrichtung der Marke.

Ebenfalls diesem Modell und der Technikorientierung verdankt JLC etwas anderes: Die Marke hat wenig Probleme mit Fälschungen. Denn die Drehmechanik der Reverso erfordert eine so hohe Präzision bei der Fertigung, dass die Nachahmung sehr aufwändig ist. Allerdings, so gibt Belmont zu, ist die Marke wegen ihren im Vergleich etwa zu Rolex oder Omega kleinen Verkaufszahlen, ohnehin für Fälscher weniger interessant. Auch in Zukunft wird JLC diese technische Kompetenz weiter pflegen und ausbauen. Stephane Belmont: «Wir machen jedes Jahr neue Erfindungen. Denken Sie nur an die Uhr ohne Schmierung, den Chronographen ohne Kupplung oder das Gyro-Tourbillon.»

Kein Zweifel: Jaeger-LeCoultre wird tatkräftig dafür sorgen, dass das Vallée de Joux auch weiterhin das Herz der Schweizer Uhrenindustrie bleibt.



Etwas Uhrmacher-Wissen

Komplikation, komplizierte Uhr: Alles, was über die Anzeige von Stunden, Minuten und Sekunden hinausgeht, wird als Komplikation bezeichnet. Also Funktionen wie zum Beispiel Datum, Mondphase oder die Stoppfunktion.
Platinen, Brücken, Kloben: Platinen sind die Grundplatten, auf denen ein Uhrwerk aufgebaut wird. Brücken und Kloben sind ihre Gegenstücke, dazwischen werden die Achsen und Räder drehbar gelagert.
Tourbillon: Entwickelt vor zweihundert Jahren, um die Ganggenauigkeit der Taschenuhren zu verbessern, die immer in der gleichen Position in der Tasche getragen wurden. Dabei dreht sich das eigentliche Herz der Uhr in einem eigenen Käfig einmal pro Minute um die eigene Achse. Das Gyrotourbillon von JLC rotiert sogar in zwei um 90 Grad verschobenen Achsen. Das Tourbillon gilt als höchste Schule der Uhrmacherkunst, bringt aber für die Genauigkeit von Armbanduhren, die dauernd in ihrer Lage verändert werden, nicht sehr viel.
Ewiger Kalender: Ein Kalender, der die unterschiedlichen Monatslängen und sogar die Schaltjahre berücksichtigt. Das bedeutet zum Beispiel, dass ein bestimmtes Zahnrad sich in vier Jahren (Schaltjahr-Zyklus) gerade einmal um seine eigene Achse dreht.
Zeitgleichung: Da sich die Erde nicht ganz regelmässig um die eigene Achse dreht, sondern leicht «eiert», stimmt die Sonnenzeit während eines Tages nicht immer genau mit der astronomischen Zeit überein. Diese Abweichung beträgt maximal rund eine Viertelstunde und wird als Zeitgleichung bezeichnet. Einige Uhren können diese Abweichung mit separaten Zeigern anzeigen.

erschienen in Cigar 1/2008

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