Der Weg zur himmlischen Erleuchtung führt unters Eis
Eistaucher bilden die
Hard-Core-Fraktion der Unterwassersportler. Einer von ihnen ist Norbert
Eisenlohr, der sagt: Eistauchen ist im Grunde einfach. Man glaubt es
ihm, aber trotzdem ist man froh, wenn man nicht ausprobieren muss, ob
es auch wirklich wahr ist.
Das Bild wirkt leicht bizarr: Die umliegenden Berge liegen unter einer
dicken Schneedecke, der See ist mit einer festen Eisfläche
überzogen. Zwar scheint die Sonne, aber es ist bitter kalt, 15,
vielleicht gar 20 Grad unter Null. Im Hintergrund ziehen
Langläufer mit eleganten Schwüngen übers Eis,
Spaziergänger sind zu sehen, dick eingepackt. Doch da: Eine Gruppe
von schwarz gekleideten Gestalten steht um ein ins Eis gesägtes
Loch herum - und tatsächlich, es sind sogar Leute im Wasserä.
Gut, etwas flapsig könnte man sagen: Das Wasser ist ja auch rund
20 Grad wärmer als die Luft...
Die Leute sind Taucher, Eistaucher. Gewissermassen die
Hard-Core-Fraktion der Unterwassersportler. Während die meisten,
die den Tauchsport ausüben, das warme Wasser der Tropen vorziehen,
um farbige Fische und bunte Korallen zu bestaunen, zieht es sie
während der Wintermonate in die Bergseen der Alpen zu einem
Erlebnis der besonderen Art.
Einer von ihnen ist Norbert Eisenlohr, noch keine fünfzig, aber
taucht seit 34 Jahren: Seit ich als kleiner Knirps den ersten
Cousteau-Film verschlungen habe, habe ich meine ganze Energie darauf
verwendet, Tauchen zu lernen, schreibt er über sich auf seiner
Homepage. Und bis heute, so erzählt er, hat er 2600
Tauchgänge im Logbuch eingetragen, obwohl er zwischendurch mal
längere Zeit gar kein Logbuch geführt hat.
Wenn er grad mal über Wasser ist, arbeitet Norbert Eisenlohr als
Tauchlehrer oder führt seinen Tauchshop Scubaviva in Winterthur.
Und wenn er erzählt, wird rasch klar, dass er ein Profi ist:
«Eistauchen ist im Grunde technisch recht einfach», sagt er.
Wie bitte?
Er erklärt es durchaus plausibel: «Beim Eistauchen geht man
weder weit vom Loch weg noch tief hinunter. Am interessantesten und
attraktivsten ist es in der Umgebung des Lochs, da fällt bei
schönem Wetter das Sonnenlicht ein, und das sieht dann aus wie
eine ‚himmlische Erleuchtung'. Faszinierend sind auch die
Luftblasen, die die Taucher ausstossen; sie bleiben unter der Eisdecke
hängen und sehen aus wie grosse Tropfen von Quecksilber, mit denen
man spielen kann. Das alles ist aber nur in der Nähe des Lochs zu
sehen, je weiter man sich entfernt, desto düsterer wird es. Dann
kann man auch gleich in den Zürichsee tauchen gehen.»
«Einfach» auch deshalb: Es ist ein absolutes Muss,
angeleint zu sein. Für nicht routinierte Taucher ist die
Orientierung schon wenige Meter vom Loch schwierig, bei schlechten
Lichtverhältnissen sieht man dann vielleicht das Loch gar nicht
mehr. Und wenn der See nicht tief ist, besteht die Gefahr, dass einer
der Taucher mit den Füssen den Grund berührt und Schlamm
aufwirbelt, dann ist absolut vorbei mit visueller Orientierung. Da ist
man vielleicht ganz froh, wenn man kurz an der Leine rucken kann und
wieder zurück in die reale Welt gezogen wird.
Eisenlohr präzisiert: «Eistauchen ist technisch recht einfach, aber psychologisch schwierig.»
Das hingegen glauben wir gern, Herr Eisenlohr.
Das Wichtigste, erklärt er, ist die Organisation. Er veranstaltet
jedes Jahr solche Exkursionen, zum Beispiel an oder besser: in den
Silsersee im Engadin. Hat selber «etwa 100, 120
Eistauchgänge gemacht». Weiss also, wie man es machen muss:
Eistauchen bedingt einen grossen Aufwand an Leuten und Material,
fängt er an. «So braucht man eine starke Kettensäge mit
langem Schwert, damit sägen wir ein Loch von etwa zwei mal zwei
Metern ins Eis. Die ausgesägte Platte schieben wir Richtung
Seemitte unter die Eisdecke und fixieren sie mit einer Eisschraube,
damit wir sie nach dem Tauchgang wieder zum Verschliessen des Lochs
verwenden können - schliesslich sind wir verantwortlich
dafür, dass hier niemand ins Wasser fällt. Deshalb macht man
das nicht einfach so zu zweit - wenn wir beide im Zürichsee
tauchen wollen, können wir jederzeit gehen.
Danke für die Einladung, der Journalist findet es im Moment sehr
viel gemütlicher, am Trockenen zu sitzen und sich vom Experten in
der Theorie erklären zu lassen, wie man es in der Praxis machen
würde.
«Ideal ist man mindestens zu fünft», erklärt er.
«Zwei sind im Wasser, zwei sind draussen, aber bereits angezogen
fertig ausgerüstet, der fünfte hält die
Sicherungsleine.» Beim Zweierteam unter Wasser ist der mit der
grösseren Erfahrung der Verantwortliche und «Chef», er
ist direkt mit der Leine mit dem Mann draussen verbunden. Der andere -
oder die anderen, wenn es mehr als einer sind - ist über eine
Leine mit einem verschiebbaren Karabiner an dieser Leine angehängt.
Und diese Leine muss von jemandem geführt sein. Es gab schon
Todesfälle, als sich Taucher zwar angeleint, diese Leine aber am
Ufer an einem Baum angebunden haben. Die Person draussen kommuniziert
über die Leine mit dem Taucher im Wasser - das ist auch die
einzige Möglichkeit, sich mit dem Mann da oben zu
verständigen, und sie ist verdammt beschränkt, etwa: ein Mal
ziehen: gib mehr Leine, zwei Mal ziehen: alles OK, drei Mal ziehen: das
Gegenteil, Gefahr, Panik, sehe nichts mehr, Luft geht aus oder was auch
immer, auf jeden Fall: Rette uns.
Man erinnert sich: Eistauchen ist technisch recht einfach, aber psychologisch schwierig...
Für solche brenzlige Situationen sind auch die beiden anderen, die
noch draussen ums Loch herumstehen, bereits fertig ausgerüstet:
bereit, zu Hilfe zu kommen, wenn Not am Mann ist. Aber nicht nur
deshalb. Auch wenn alles gut geht, müssen sie rasch ins Wasser,
wenn die erste Crew zurückkommt. Denn beim Eistauchen ist es
wichtig, dass alles rasch geht, dass man nicht mit den Vorbereitungen
noch viel Zeit verliert, sonst fängt man an zu frieren.
Logisch: Die Kälte ist weniger im Wasser ein Problem als vielmehr
draussen. Auf einem Gebirgssee kann es auch tagsüber locker 20
Grad unter null werden, und bei diesen Temperaturen ist man rasch
durchgefroren, und dann kriegt man mit den klammen Fingern keinen
Reissverschluss und keine Schnalle mehr auf.
Da ist es unter der Oberfläche schon fast gemütlich warm:
Gleich unter dem Eis ist das Wasser um die 0 Grad, weiter unten wird es
wärmer und hat nach einigen Metern mit vielleicht 5 Grad die
gleiche Temperatur wie irgendein Mittellandsee in dieser Tiefe.
Aus diesem Grund wird das Material auch nicht draussen aufs Eis
hingelegt, sondern an Seilen ein paar Meter tief ins Wasser
gehängt. Andernfalls würden die Teile, etwa Seile, in
Sekunden brettverhart gefrieren und wären damit völlig
unbrauchbar.
Und auch wenn das Wasser selber nicht gefriert, kann die lebenswichtige
Luftversorgung bei diesen Temperaturen versagen. Deshalb führt man
diese Armaturen immer doppelt mit, entweder eine Flasche mit zwei
Luftsystemen oder zwei Flaschen und alles getrennt.
Und anders als beim
«WarmwasserFarbigeFischchengucken-Tropentauchen» geht man
auch nicht mit einer dünnen Neoprenhülle rein, sondern mit
einem Trockenanzug, neckisch «Trocki» genannt. Norbert
Eisenlohr erklärt: Nassanzüge sind aus Neopren, einem
geschäumten Gummi. Sie sind an Hals, Unterarmen und Unterschenkeln
offen, dort dringt das Wasser zwischen den Anzug und die Haut und wird
von dieser erwärmt. Damit hat auch der Mensch im Anzug warm -
zumindest eine Zeit lang. Trockenanzüge sind absolut dicht, die
Füsslinge sind gleich fest verbunden, an den Ärmeln und am
Hals werden sie mit Manschetten wasserdicht abgeschlossen. Unter dem
Anzug trägt man trockene, wärmende Unterwäsche.
Doch das ist nur das eine, das andere ist das total unterschiedliche
Auftriebsverhalten. Mit dem Nassanzug trägt man eine Tarierweste,
in die man je nach Tauchtiefe mehr oder weniger Luft aus der
Druckflasche einblasen kann, damit kann man die Tauchtiefe
kontrollieren, das nennt man tarieren. Beim Trockenanzug bläst man
die Luft in den ganzen Anzug - und das kann ziemlich blöd enden,
wenn man einen Fehler macht:
Bekanntlich herrscht unter Wasser höherer Druck, je tiefer man
taucht, desto höher wird er. Alles wird zusammengepresst, der
Körper, aber auch die Luft in der Tarierweste oder im Trocki. Wenn
man dann auftaucht, dehnt sich die Luft wieder aus, verleiht einem
Auftrieb, und wenn man vergisst, rechtzeitig die Luft wieder
abzulassen, geht man ab nach oben wie eine Rakete. Was im schlimmsten
Fall tödlich enden kann.
Beim Tauchen mit dem Trockenanzug kommt noch etwas hinzu: Das
Luftventil ist auf Schulterhöhe angebracht. Wenn jemand waagerecht
oder sogar leicht mit dem Oberkörper nach unten taucht - was nicht
unüblich ist - und beim Auftauchen beginnt, Luft abzulassen, zieht
es einen mit den Füssen nach oben an die Oberfläche. Norbert
Eisenlohrs trockener Kommentar: «Dann kriegt man ein ernstes
Problem».
Tröstlich immerhin, er ergänzt: «Beim Eistauchen
passiert einem das in allerdings kaum, da man hier nur ein paar Meter
tief taucht, aber wenn man im Zürichsee auf 20, 30 Meter geht,
schon.» Und: «Damit umzugehen, lernt man natürlich in
der Vorbereitung.»
Mutige nützen diesen Effekt beim Eistauchen sogar für ein
Erlebnis der ganz besonderen Art: Man dreht sich kopfüber,
lässt Luft in den Anzug, die sammelt sich dann logischerweise oben
bei den Füssen, das zieht einen an die Eisdecke, und dann kann man
langsam über die Eisdecke «täppelen». Und dann
ganz lustig mit den grossen Quecksilbertropfen spielen - ein kleiner
Fussballmatch gefällig? Ist allerdings nicht ganz einfach, denn
man verliert beim Drehen gern die Orientierung.
Wie war das schon wieder: Taucherisch, technisch ist Eistauchen nicht besonders schwierig?
Der Journalist, selber ein
«WarmwasserFarbigeFischchengucken-Tropentaucher » mit
beschränkter Erfahrung, findet es immer noch wesentlich
gemütlicher - und viel sicherer -, auf dem Trockenen zu sitzen und
zuhören zu können, sich das Bild beschreiben zu lassen, statt
im Trockenanzug unter einer dicken Eisdecke zu versuchen, den Boden
unter den Füssen nicht zu verlieren.
erschienen in Cigar 4/2008
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